OLG Hamm, Urteil vom 9. Juni 2015 – 28 U 60/14.

Orientierungssätze

1. Sind bei einem als Sonderausstattung mitbestellten “Comand”-Systems bei eingeschalteter Rückfahrkamera keine dynamischen und statischen Hilfslinien zu sehen, obwohl diese Funktion der Sonderausstattung “Rückfahrkamera” in dem – vor Vertragsschluss ausgegebenen und Grundlage des Kaufentschlusses der Klägerin gewordenen – Verkaufsprospekt bzw. der Preisliste des Herstellers als vorhanden angegeben war, liegt ein Sachmangel vor.

2. Zur Feststellung, welche konkreten Eigenschaften eine Sonderausstattung nach den Vorstellungen der Parteien haben sollte müssen die Begleitumstände des Einzelfalles ausgewertet werden. Dabei sind die Angaben des Verkäufers, aber auch – auf den Erwartungshorizont des Kunden erkennbar Einfluss nehmende – (Modell-)Beschreibungen in vor Vertragsschluss überlassenen Prospekten (so beispielsweise BGH in NJW 2011,2872) oder Preislisten zu berücksichtigen, wenn sie vom Kunden der Bestellung zur Grunde gelegt worden sind.

Einordnung

Das OLG Hamm ordnet die in den Verkaufsprospekten des Neuwagens gemachten Aussagen zu den technischen Eigenschaften der Sonderausstattung “Rückfahrkamera” als Beschaffenheitsvereinbarung ein, obwohl in der Auftragsbestätigung selbst solch detaillierte Angaben nicht vorhanden waren. Die Verkäuferin hatte eine Nacherfüllung abgelehnt, weshalb der Käufer hier zurücktreten konnte.


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    Entscheidung
    Tenor

    Auf die Berufung der Beklagten wird – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – das am 19.03.2014 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bochum (Einzelrichter) abgeändert.

    1.

    Die Beklagte bleibt verurteilt, an die N GmbH, vertreten durch ihre Geschäftsführer B, B2 und B3, Servicecenter C, …# C 62.581, 65 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.10.2013 Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Pkw D …# (amtl. Kennzeichen …#, Fahrgestellnr.: …) zu zahlen.

    2.

    Es bleibt festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer 1) bezeichneten Pkw in Annahmeverzug befindet.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Von den Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin 21 % und die Beklagte 79 %. Von den Kosten der zweiten Instanz tragen die Klägerin 16 % und die Beklagte 84 %.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Jede Partei kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Gründe

    A.

    Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Neufahrzeug der Marke D, Typ …# wegen eines behaupteten Mangels an der Rückfahrkamera bzw. dem – u.a. das Bild der Kamera darstellenden, aber auch über weitere Infotainmentfunktionen verfügenden – “Comand” -System.

    Die Klägerin bestellte am 29.03.2012 den streitgegenständlichen D zum Preis von 77.617,75 € brutto bei der Beklagten; als Liefertermin war der Monat Dezember 2012 vereinbart. Die Beklagte bestätigte am 16.04.2012 die Bestellung.

    Soweit für den vorliegenden Fall von Interesse war in der Auftragsbestätigung als Sonderausstattung u.a. vorgesehen:

    – Nr. …# : Rückfahrkamera 400 €

    – Nr. …# : Aktiver Park-Assistent incl. Parktronic 730,00 €

    – Nr. …# Comand APS 2.620 €

    In der der Klägerin nach Aktenlage vor Vertragsschluss überlassenen Preisliste/Verkaufsbroschüre des Herstellers zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug hieß es in Bezug auf die Sonderausstattung “Rückfahrkamera”:

    ” Die Rückfahrkamera schaltet sich automatisch beim Einlegen des Rückwärtsganges ein. Sie unterstützt den Fahrer beim Längs- und Quereinparken. Statische und dynamische Hilfslinien zeigen dem Fahrer Lenkwinkel und Abstand an.”

    Auch in der seinerzeit auf der Internetseite der E AG abrufbaren Betriebsanleitung war zu der Sonderausstattung vermerkt:

    ” Die Rückfahrkamera ist eine optische Einpark- und Manövrierhilfe. Sie zeigt Ihnen auf dem Comandsystem den Bereich hinter dem Fahrzeug mit Hilfslinien an.”

    Am 03./04.12.2012 schloss die Klägerin bei der N2 GmbH einen Leasingvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug ab. Als Kaufpreis war darin nunmehr – aus nicht näher dargelegten Gründen – ein Betrag von 67.285 € netto/80.069,15 € brutto vorgesehen.

    In Bezug auf etwaige Gewährleistungsrechte des Leasingnehmers enthalten die AGB der N3 GmbH unter Ziffer XIII.2. den Passus, dass etwaige Ansprüche wegen Sachmängeln dem Leasingnehmer nicht gegen den Leasinggeber zustehen, sondern dieser seine Ansprüche gegen den Verkäufer an den Leasingnehmer abtritt.

    Kurz vor Weihnachten 2012 wurde das Fahrzeug an die Klägerin ausgeliefert.

    Alsbald danach stellte der Geschäftsführer der Klägerin fest, dass bei aktivierter Rückfahrkamera im Display des “Comand”-Systems in der Mittelkonsole keine Hilfslinien dargestellt wurden. Von dem D-Vertragshändler F in F2 erhielt er die Information, dass die Sonderausstattung Nr. …# (Rückfahrkamera) bei dem von der Klägerin erworbenen Modell eine Darstellung mit Hilfslinien im Display nicht vorsehe.

    Daraufhin wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 22. Januar 2013 an das Kundencenter von D und rügte, dass die Rückfahrkamera nur bei eingeschaltetem Radio funktioniere und dass im Display keine Hilfslinien sichtbar seien. Die letztgenannte Funktion sei angeboten, bestellt und bezahlt worden, aber nicht vorhanden.

    Das Kundencenter teilte der Klägerin mit Schreiben vom 14.02.2013 mit:

    “Obwohl in der aktuellen Preisliste die Rückfahrkamera mit statischen und dynamischen Hilfslinien vermerkt ist, erfolgt die Nutzung der Rückfahrkamera bei Ihrem …# ohne diese Hilfslinien. Aufgrund der elektronischen Voraussetzungen ist keine Änderung darstellbar”

    Als Entgegenkommen bot man der Klägerin einen Servicegutschein in Höhe von 200 € an. Damit war der Geschäftsführer der Klägerin nicht einverstanden.

    Mit Anwaltsschreiben vom 13.03.2013 erklärte die Klägerin aus abgetretenem Recht den Rücktritt vom Kaufvertrag und begründete diesen näher; sie machte deutlich, dass sie die Sonderausstattung “Rückfahrkamera” nicht bestellt hätte, hätte sie gewusst, was sie erhalten werde.

    Nachdem eine vorprozessuale Einigung nicht zu Stande kam, hat die Klägerin unter dem 06.08.2013 die vorliegende Klage erhoben, mit der sie die Rückabwicklung des Kaufvertrages bei Zahlung von 80.069,15 € an die Firma N3 GmbH abzüglich eines Nutzungswertersatzes von 1.240 € nebst Zinsen, die Feststellung des Annahmeverzuges und die Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten geltend gemacht hat.

    Die Klägerin hat ausgeführt:

    Das Fahrzeug sei bei Übergabe mangelhaft gewesen, weil es entgegen dem Angebot und der Beschreibung in der Preisliste/Verkaufsbroschüre bei aktivierter Rückfahrkamera unstreitig die statischen und dynamischen Hilfslinien nicht darstelle, die dem Fahrer Lenkwinkel und Abstand anzeigen sollten. Eine über die Darstellungsfunktion der Linien verfügende Kamera sei Beschaffenheitsvereinbarung geworden.

    Der Mangel sei nach den erteilten Informationen nicht behebbar, weil es die Darstellung der Hilfslinien bei der Sonderausstattung Nr. …# für den Fahrzeugtyp …# nicht gebe. Der Mangel sei erheblich, weil die Funktionstüchtigkeit und der Fahrkomfort erheblich eingeschränkt seien. Der Wagen sei nach hinten besonders unübersichtlich, was das Rückwärtseinparken erschwere; das habe durch die Darstellung der Hilfslinien erleichtert werden sollen; das Hinzuwählen der Sonderoption “Rückfahrkamera” sei deswegen nahezu unverzichtbar. Dieser Aspekt sei für ihren Geschäftsführer beim Kauf sehr wichtig gewesen. Im Übrigen indiziere der Umstand, dass die Beschaffenheit “Kamera mit Darstellung der Hilfslinien” vereinbart gewesen sei, die Erheblichkeit im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB.

    Sie, die Klägerin, habe nach allem ein – ihr von der Leasinggeberin abgetretenes – Recht auf Rückabwicklung des Vertrages. Abzuziehen sei für gefahrene 15.500 km ein Betrag von 1.240 € (das entspricht 0,08 €/km).

    Zudem seien von der Beklagten die ihr, der Klägerin, entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten zu ersetzen. Nachdem die Beklagte es abgelehnt habe, mehr als nur einen Servicegutschein anzubieten, habe sie, die Klägerin, sich gezwungen gesehen, einen Anwalt einzuschalten. In Verzug befinde sich die Beklagte jedenfalls seit Ablauf der ihr mit vorprozessualem Schreiben vom 10.05.2013 gesetzten Frist am 17.05.2013.

    Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag wie folgt begründet:

    Dass die Rückfahrkamera die Hilfslinien nicht zeige, sei – allenfalls – ein nur unerheblicher Mangel und berechtige nicht zum Rücktritt vom Vertrag. Der Bruttopreis für die Kamera betrage unstreitig 476 € und damit nicht einmal 0,6 % des Gesamtkaufpreises. Die Kamera sei voll funktionstüchtig, zeige eben nur im Display die Hilfslinien nicht. Das “Comand”- System sei ebenfalls voll funktionstüchtig, über das System würden aber unstreitig noch andere Funktionen abgewickelt, wie beispielsweise das Telefon, die Musikanlage und das Navigationssystem.

    Behebbar sei der Umstand, dass die Linien nicht angezeigt würden, ohne weiteres nicht. Um das Fahrzeug mit einer mit Hilfslinien versehenen Rückfahrkamera auszustatten, müsste die gesamte Elektrik getauscht werden, was viele tausend Euro kosten würde.

    Im Übrigen seien die Nutzungsvorteile, die die Klägerin sich anrechnen lassen müsse, höher als klägerseits angenommen, sie lägen bei gefahrenen 15.500 km bei einem Betrag von 8.066,97 €, auf den noch die Mehrwertsteuer aufzuschlagen sei.

    Das Landgericht hat mit seinem am 19.03.2014 verkündeten Urteil unter Klageabweisung im Übrigen die Beklagte verurteilt, an die N3 GmbH 80.069,15 € abzüglich 6.205,35 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.05.2013 Zug um Zug gegen Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu zahlen, und festgestellt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befinde.

    Es hat zur Begründung ausgeführt:

    Der Klägerin stehe der geltend gemachte Rückabwicklungsanspruch aus den §§ 437 Nr. 2, 444, 323,346, 398 BGB zu.

    Das verkaufte Fahrzeug habe bei Übergabe einen Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgewiesen. Die Lieferung mit der eingebauten Sonderausstattung Nr. …# “Rückfahrkamera” ohne die Möglichkeit der Darstellung der Hilfslinien stelle einen Sachmangel dar, weil diese Beschaffenheit vereinbart worden sei. Das ergebe sich aus der Verkaufsbroschüre und der Bedienungsanleitung.

    Der Mangel sei auch nicht unerheblich, § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB.

    Er sei behebbar, allerdings nur mit vergleichsweise hohen Kosten; das habe die Beklagte zuletzt selbst mitgeteilt. In Fällen, in denen die Beseitigung des Mangels nur mit ungewöhnlich hohen Kosten möglich sei, komme es ausnahmsweise bei der Feststellung der Erheblichkeit auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung an. Diese erachte die Kammer als erheblich, weil die Assistenzhilfe durch die Rückfahrkamera ihrer Funktion als Mittel des Sicherheitskonzepts nur dadurch gerecht werde, dass statische und dynamische Hilfslinien dem Fahrer die jeweiligen Lenkwinkel und den Abstand anzeigen.

    Zudem indiziere der Umstand, dass das Vorhandensein der Hilfslinien Teil der getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung geworden sei, die Erheblichkeit.

    Vom Kaufpreis sei ein Nutzungsvorteil von 0,5 % des Kaufpreises je 1000 km abzuziehen, mithin ein Betrag von 6.205,35 €, so dass die Beklagte insgesamt 73.863,80 € zu zahlen habe.

    Der Feststellungsantrag sei zulässig und begründet; die Beklagte habe sich seit Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befunden.

    Die Zinsforderung sei aus Verzugsgesichtspunkten begründet, während ein Anspruch auf die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten der Klägerin nicht zustehe.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Entscheidungsgründe wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

    Gegen die Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, mit der sie ergänzend geltend macht:

    Das Landgericht verstehe den Begriff der “Beschaffenheitsvereinbarung” falsch. Es sei von ihr, der Beklagten, nie eine Garantieerklärung gemäß § 443 BGB abgegeben worden. Die Klägerin beziehe sich nur auf den Verkaufsprospekt/die Preisliste bzw. die – erst nach Vertragsschluss bei Übergabe des Autos an sie gelangte – Betriebsanleitung. Angaben darin ersetzten eine Beschaffenheitsgarantie aber nicht.

    Zudem sei der Mangel allenfalls unerheblich. Es würde zwar mehrere tausend Euro kosten, ihn durch Austausch der Elektrik zu beseitigen; im Streitfall komme es aber auf das Maß der Funktionsbeeinträchtigung an. Diese sei gering; die Kamera funktioniere, nur die Hilfslinien würden nicht angezeigt.

    Zuletzt habe das Landgericht den Nutzungswertersatz falsch berechnet. Vor allem habe es zu Unrecht die Umsatzsteuer nicht auf den errechneten Betrag aufgeschlagen.

    Die Beklagte beantragt,

    unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie verteidigt das angefochtene Urteil mit näheren Ausführungen.

    Im Senatstermin am 30.04.2015 hat die Klägerin auf Nachfrage angegeben, dass mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug inzwischen 43.681 Kilometer gefahren worden sind.

    B.

    Die Berufung der Beklagten ist zulässig; sie hat in der Sache aber überwiegend keinen Erfolg.

    Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus – ihr von der N2 GmbH gemäß deren AGB – abgetretenem Recht gemäß §§ 437 Nr. 2, 323, 346, 434, 398 BGB Anspruch auf Rückabwicklung des am 29.03./16.04.2012 geschlossenen Kaufvertrages, mit dem sie von der Beklagten den streitgegenständlichen Pkw zum unstreitig auf 80.069,15 € brutto erhöhten Kaufpreis erworben hat.

    Wie das Landgericht zu Recht festgestellt hat, lagen die Voraussetzungen für den erstmals mit Schriftsatz vom 13.03.2013 erklärten und im Prozess konkludent wiederholt erklärten Rücktritt vor.

    I.

    Der streitbefangene D war und ist mangelhaft im Sinne von § 434 BGB, weil er – was zwischen den Parteien unstreitig ist – bei Übergabe an die Klägerin auf dem Display des als Sonderausstattung mitbestellten “Comand”-Systems bei eingeschalteter Rückfahrkamera keine dynamischen und statischen Hilfslinien anzeigt, obwohl diese Funktion der Sonderausstattung “Rückfahrkamera” in dem – vor Vertragsschluss ausgegebenen und Grundlage des Kaufentschlusses der Klägerin gewordenen – Verkaufsprospekt bzw. der Preisliste des Herstellers als vorhanden angegeben war.

    1.In dem Fehlen der Hilfslinien liegt ein Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB; das Fahrzeug weist deswegen eine vereinbarte Beschaffenheit nicht auf.

    Grundsätzlich sind beim Fahrzeugkauf alle im Bestellschein und der Annahmeerklärung aufgeführten Eigenschaften des Fahrzeugs ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarungen im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB (Reinking/Eggert: Der Autokauf, 12. Auflage, Rnrn. 416, 2440). Vorliegend ergibt sich allerdings aus der in der Auftragsbestätigung vom 16.04.2012 enthaltenen Aufzählung der bestellten Zusatzausstattung “Rückfahrkamera” und “Comand”-APS nicht, welche konkreten Eigenschaften diese Sonderausstattung nach den Vorstellungen der Parteien haben sollte. Um das bestimmen zu können, müssen die Begleitumstände des Einzelfalles ausgewertet werden. Dabei sind die Angaben des Verkäufers, aber auch – auf den Erwartungshorizont des Kunden erkennbar Einfluss nehmende – (Modell-)Beschreibungen in vor Vertragsschluss überlassenen Prospekten (so beispielsweise BGH in NJW 2011,2872) oder Preislisten zu berücksichtigen, wenn sie vom Kunden der Bestellung zur Grunde gelegt worden sind.

    Vorliegend haben dem Geschäftsführer der Klägerin vor Vertragsschluss die Preisliste sowie die Verkaufsbroschüre des Herstellers vorgelegen. Diese Unterlagen verweisen ausdrücklich darauf, dass die Sonderausstattung ” Rückfahrkamera” es in Zusammenschau mit der Sonderausstattung “Comand”-System dem Fahrer ermöglicht, nicht nur durch das Bild der Rückfahrkamera den Raum hinter dem D in den Blick zu nehmen, sondern außerdem durch Anzeigen der statischen und dynamischen Hilfslinien Abstände zu Hindernissen und die Fahrzeugposition in der Umgebung besser einzuschätzen. Wählt der Kunde diese kostenträchtige Zusatzausstattung gezielt aus, zeigt sich daran, dass es ihm auf die beschriebenen Funktionen ankommt. Wie die Klägerin unwidersprochen ausgeführt hat, war für ihren Geschäftsführer der Aspekt des zielgerichteten und schadensfreien Rückwärtsfahrens deshalb von besonderer Bedeutung, weil der D – was von der Beklagten nicht in Abrede gestellt wird – bauartbedingt beim Blick nach hinten besonders unübersichtlich ist und das Rückwärtsfahren wie das Einparken mit der individuell gewählten Sonderausstattung erheblich erleichtert wird. Dass gerade dieser Aspekt für die Klägerin bzw ihren Geschäftsführer bedeutsam gewesen ist, wird auch ohne weiteres dadurch offenbar, dass nicht nur die Rückfahrkamera nebst “Comand”-System, sondern auch noch der “Aktive Park-Assistent” als Zusatzausstattung gewählt worden ist. Das lässt zwanglos und für die Beklagte bei Vertragsschluss erkennbar den Schluss darauf zu, dass die Klägerin alle Möglichkeiten der Sicherheits- und Komfortoptimierung in Bezug auf das Rückwärtsfahren bzw. Einparken ausschöpfen wollte, die der Hersteller anbot. Allein mit der Rückfahrkamera war das durch das Gesamtpaket erreichbare “Plus” an Komfort und Sicherheit nicht zu erreichen, was sich schon offenbart, wenn die Angaben des Herstellers in der Betriebsanleitung ausgewertet werden. In ihr ist nämlich ausgeführt, dass je nach Position des Fahrzeugs die Möglichkeit besteht, dass die Rückfahrkamera Hindernisse perspektivisch verzerrt, nicht richtig oder gar nicht anzeigen kann. Gerade dann können insbesondere die Hilfslinien wertvolle Hilfe beim Rückwärtsfahren bieten, die sonst fehlt, so dass der sinngemäß von der Beklagten geäußerten Einschätzung, letztlich seien die Hilfslinien zwar bequem, aber unnötig, nicht zu folgen ist.

    In der Gesamtschau ergibt sich, dass sich die Soll-Beschaffenheit des Fahrzeugs im Streitfall nach den jedenfalls konkludent in den Vertrag einbezogenen, publizierten Angaben zu der Sonderausstattung, wie sie in der Preisliste/dem Verkaufsprospekt zu finden sind, richten sollte.

    2.

    Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung bezogen auf die Darstellung der Hilfslinien vorgebracht hat, es sei von ihr entgegen der Auffassung des Landgerichts keine Beschaffenheitsgarantie im Sinne der §§ 443 f. BGB übernommen worden, ist das weder von der Klägerin behauptet, noch vom Landgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt worden. Sowohl von der Klägerin als auch vom Landgericht wird vielmehr nur eine einfache Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB angenommen. Auf die Frage, unter welchen Umständen eine (weitergehende) Beschaffenheitsgarantie anzunehmen ist, muss der Senat deshalb nicht eingehen.

    3.

    Dass in den die Zusatzausstattung beschreibenden Angaben des Herstellers in der Preisliste bzw. der Verkaufsbroschüre zugleich eine die berechtigten Erwartungen des Käufers bestimmende öffentliche Äußerung gemäß § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB zu sehen ist, begegnet nach Aktenlage auch in der Vorstellung der Beklagten keinem Zweifel.

    Der D weist deshalb jedenfalls auch einen Sachmangel gemäß § 434 Abs. 1 Satz 3, 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf.

    II.

    Eine Frist zur Nacherfüllung (§ 323 Abs. 1 BGB) musste die Klägerin der Beklagten nicht setzen. Unabhängig davon, dass die Klägerin aufgrund des Schreibens des Kundencenters der Fahrzeugherstellerin vom 14.02.2013 annehmen durfte und musste, dass der Mangel einer Nacherfüllung nicht zugänglich sein würde, hat die Beklagte durch ihr vorprozessuales Verhalten, aber auch durch ihren Schriftsatz vom 28.02.2014 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Nacherfüllung aus Kostengründen nicht vornehmen wolle und deshalb ablehne, § 439 Abs. 3 Satz 1 BGB.

    III.

    Dem von der Klägerin erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag stehen auch keine Ausschlussgründe entgegen.

    Insbesondere stellt sich das Fehlen der Anzeige der Hilfslinien nicht als unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB dar.

    Die in diesem Zusammenhang vorzunehmende einzelfallbezogene Abwägung der Interessen der Vertragspartner (s. auch BGH in NJW 2014, 3229) führt vorliegend dazu, dass zu Lasten der – für die behauptete Geringfügigkeit des Mangels darlegungs- und beweisbelasteten – Beklagten von einem erheblichen Mangel auszugehen ist.

    1.

    Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. nur Urteil vom 06.02.2013 in NJW 2013,1365 und Urteil vom 17.02.2010 in NJW – RR 2010,1289) indiziert der Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung in der Regel die Erheblichkeit der – in der Lieferung der mangelhaften Kaufsache liegenden – Pflichtverletzung. Das ist im Streitfall nicht anders: Die bewusste Entscheidung für eine teure Zusatzausstattung durch die Klägerin lässt ohne weiteres den Schluss darauf zu, dass gerade die nach dem Inhalt der vor Vertragsschluss überlassenen Unterlagen verbundenen Funktionen der Zusatzausstattung für die Wahl der Käuferin maßgebliches Gewicht gehabt haben. Das steht grundsätzlich der Annahme entgegen, das vollständige oder teilweise Fehlen der Funktionen habe nur geringfügige Bedeutung.

    Umstände, die die Indizwirkung entkräften könnten, sind nicht auszumachen.

    a)

    Dabei kommt es im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung im vorliegenden Fall nicht maßgeblich auf die Höhe der Mängelbeseitigungskosten, sondern auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung an.

    Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung bei behebbaren Mängeln im Rahmen des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB regelmäßig auf die Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten abzustellen (s. dazu nur BGH in NJW 2014, 3229). Anderes gilt, wenn der Mangel nicht oder nur mit hohen Kosten behebbar ist; dann kommt es vornehmlich auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung an (BGH in NJW 2011, 2872). Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass hier eine Konstellation vorliegt, in der der Mangel zwar behebbar ist, wegen der hierfür erforderlichen besonders hohen Kosten aber ausnahmsweise auf den Umfang der Funktionsbeeinträchtigung abzuheben ist. Das greifen die Parteien auch nicht an.

    Die durch die fehlenden Hilfslinien bestehende Funktionseinschränkung der Rückfahrkamera ist nicht als geringfügig anzusehen.

    b)

    Dabei ist der Verweis der Beklagten auf die technisch eingeschränkten Möglichkeiten früherer Zeiten und auf die Tatsache, dass bis vor wenigen Jahren Fahrzeugführer ganz ohne Rückfahrkamera ausgekommen seien, ohne rechtliche Relevanz. Welche technischen Möglichkeiten Fahrzeuge gleich welchen Herstellers in der Vergangenheit ihrem Fahrer boten, ist für die Beantwortung der Frage, ob das Fehlen von vom Verkäufer angebotener, bestellter und bezahlter Zusatzfunktionen Anfang 2012 bei einem D …# sich als geringfügige Beeinträchtigung darstellt, ohne Belang. Die allgemeine technische Entwicklung bei Kraftfahrzeugen und geringere Sicherheitsund Komfortstandards früherer Zeiten haben keinen Bezug zum vorliegenden Einzelfall und sind zur Heranziehung im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung daher ungeeignet.

    c)

    Auch die Bezugnahme der Beklagten darauf, dass die Kosten für die Zusatzausstattung “Rückfahrkamera” im Verhältnis zum Gesamtkaufpreis lediglich gering seien, führt nicht zur Annahme der Unerheblichkeit des Mangels.

    Der Vergleich erscheint bereits im Ansatz verfehlt, denn die angebotene und von der Klägerin bestellte Funktion einer bildlichen Darstellung des Verkehrsraums hinter dem Fahrzeug mit Hilfslinien kann nur erfolgen, wenn neben der Rückfahrkamera auch das “Comand-System” verbaut wird, das deutlich teurer gewesen ist als die Rückfahrkamera .

    Im Übrigen kommt es für die Feststellung der Erheblichkeit einer fehlerhaften oder nicht vorhandenen Funktion eines Bauteils ersichtlich nicht darauf an, ob dieses mit geringem Material- und Arbeitsaufwand verbaut werden konnte.

    d)Der Hinweis der Beklagten darauf, dass die Zusatzausstattung “Rückfahrkamera” allein hinreichenden Komfort/ausreichende Sicherheit beim Rückwärtsfahren biete und es der Hilfslinien eigentlich nicht bedürfe, führt ebenfalls nicht dazu, dass von einer Unerheblichkeit des Mangels auszugehen ist.

    Wie in der Betriebsanleitung dargestellt, ist die Rückfahrkamera in bestimmten Situationen nicht in der Lage, ein einwandfreies und unverzerrtes Bild zu übermitteln. Schon vor diesem Hintergrund bietet sie eben nicht einen vergleichbaren Sicherheits- und Komfortstandard, wie er bei funktionierender Darstellung der dynamischen und statischen Hilfslinien erreicht wird. Außerdem ist hier die von der Klägerin angeführte Unübersichtlichkeit des Heckbereichs des fraglichen Fahrzeugmodells zu berücksichtigen, angesichts der den in Rede stehenden Hilfsfunktionen beim Rückwärtsfahren besondere Bedeutung zukommt.

    2.Danach erweist sich auch dann, wenn keine Beschaffenheitsvereinbarung mit Indizwirkung für die Erheblichkeit der Pflichtverletzung angenommen würde, der Mangel im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB nicht als unerheblich.

    Wie bereits ausgeführt, kam es der Klägerin gerade darauf an, mit der individuell ausgesuchten Sonderausstattung für einen “Rundumschutz” beim Rückwärtsfahren und Einparken Sorge zu tragen. Die Unübersichtlichkeit des D lässt der Einparkhilfe durch Anzeige der Hilfslinien im “Comand”-System besondere Bedeutung zukommen.

    IV.

    In der Rechtsfolge kann die Klägerin von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises von 80.069,15 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs verlangen, wobei antragsgemäß die Zahlung an die Zedentin auszusprechen war.

    Abzuziehen ist der Nutzungswertersatz für die von der Klägerin mit dem Fahrzeug absolvierte Fahrtstrecke (§ 346 BGB), der anhand der aktuellen – unstreitig gebliebenen – Laufleistung von 43.681 km mit 17.487,50 € zu bemessen ist. Dabei ist der Senat von der beim Neufahrzeugkauf anzuwendenden Berechnungsformel ” Bruttokaufpreis x Laufleistung : zu erwartende Gesamtlaufleistung” (vgl. nur Reinking/Eggert, a.a.O., Rn 1166) ausgegangen. Wie vom Landgericht angenommen ist eine zu erwartende Gesamtlaufleistung von 200.000 km angesichts der Motorisierung des streitbefangenen D jedenfalls nicht zu hoch gegriffen; Gegenteiliges wird beklagtenseits auch nicht eingewandt.

    Soweit die Beklagte die Auffassung vertreten hat, auf den Abzugsbetrag sei die Mehrwertsteuer aufzuschlagen, ist das nach neuester Rechtsprechung des BGH (in NJW 2014,2435) mit der dortigen Begründung, auf die der Senat Bezug nimmt und der sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, abzulehnen.

    V.

    Der Zinsanspruch der Klägerin ist – soweit ihre Berufung in der Hauptsache Erfolg hat – aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 286, 288 BGB begründet, wobei die Klägerin allerdings nur Zinsen ab Rechtshängigkeit verlangen kann. Denn in ihrem (Mahn-)schreiben vom 10.05.2013 wird der Beklagten von der Klägerin nur die Aufforderung unterbreitet, ein “akzeptables Angebot” zu machen; das reicht für eine wirksame Aufforderung zur Rückabwicklung des Kaufvertrages ersichtlich nicht.

    Im Übrigen kann die Klägerin auch nur Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verlangen, weil im Rahmen der begehrten Rückabwicklung keine Entgeltforderung im Sinne von § 288 Abs. 2 BGB – die ein Entgelt als Gegenleistung für die Lieferung von Gütern oder Erbringung von Dienstleistungen vorsieht – geltend gemacht wird.

    Vorstehende Abänderung des landgerichtlichen Urteils bezüglich der Nebenforderungen ist dem Senat auch ohne konkreten Berufungsangriff möglich (BGH in NJW 2012,2796).

    VI.

    Wegen des berechtigten Rückabwicklungsverlangens der Klägerin bleibt es auch bei der vom Landgericht getroffene Feststellung des Annahmeverzuges.

    C.

    1.

    Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf den §§ 92, 97 ZPO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf den §§ 708 Nr. 10, 711ZPO.

    2.

    Die Revision war nicht zuzulassen.

    Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; ebenso wenig erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 ZPO).