Sachverhalt: Streit um Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrags
Eine interessante Entscheidung ist das von uns erstrittene Urteil des LG Gießen vom 18.02.2025, Az. 2 O 159/24. Im vorliegenden Fall hatte ein Käufer einen gebrauchten Volkswagen Touareg zu einem Kaufpreis von 7.990 € über ein Internetinserat erworben. Das Fahrzeug war laut Inserat mit diversen Ausstattungsmerkmalen versehen, unter anderem mit einem USB-Anschluss und Bluetooth-Streaming. Nach Übergabe stellte sich jedoch heraus, dass das Fahrzeug über diese Funktionen tatsächlich nicht verfügte.
Zuvor hatte der Käufer das Fahrzeug persönlich besichtigt und eine Probefahrt durchgeführt. Am Verkaufstag war ein Bekannter des Verkäufers anwesend, der nach Darstellung des Verkäufers darauf hingewiesen haben soll, dass das Fahrzeug „wie gesehen“ verkauft werde. Im schriftlichen Kaufvertrag wurde kein ausdrücklicher Gewährleistungsausschluss festgehalten.
Der Käufer stellte nach dem Erwerb eine Vielzahl technischer Mängel fest, darunter:
- nicht funktionierendes PDC-Steuergerät
- defekter AUX-Eingang
- voll regenerierender Dieselpartikelfilter
- Reifendrucküberwachung ohne Signal
- nicht funktionierendes Keyless-Go-System
- Standheizung und Zusatzheizung außer Betrieb
- defekter Spurwechsel- und Totwinkelassistent
- Fahrersitz nicht höhenverstellbar
- eingerissenes Leder in der hinteren Sitzreihe
- defekter mittlerer Sicherheitsgurt hinten
- fehlerhafte Luftfederung
- defekte Stellmotoren und Klappen der Klimasteuerung
- defekter Kühlmitteltemperaturgeber
Außerdem wies das Fahrzeug nicht die im Inserat angegebene Alarmanlage auf.
Zur Beweissicherung wurde ein selbständiges Beweisverfahren vor dem Landgericht Gießen eingeleitet (Az.: 3 OH 1/23). Im Rahmen dieses Verfahrens erstattete ein öffentlich bestellter Sachverständiger ein umfangreiches Gutachten, das viele der Mängel bestätigte – wenngleich sie überwiegend als alters- und laufleistungsbedingt eingestuft wurden. Einzelne, wie das Fehlen von USB-Anschluss und Bluetooth-Streaming, wurden als nicht behebbare Mängel erkannt.
Im Anschluss erklärte der Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Rückabwicklung: Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs sowie Ersatz diverser Investitionen, die er in das Fahrzeug getätigt hatte. Zudem verlangte er Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten.
Der Verkäufer widersprach den Vorwürfen und verwies darauf, dass keine Zusicherungen gemacht worden seien und ein mündlicher Gewährleistungsausschluss vereinbart worden sei. Er bestritt die Kenntnis der Mängel und sah sich daher nicht in der Pflicht zur Rückabwicklung.
Rechtliche Würdigung: Rücktritt trotz Gewährleistungsausschluss möglich
Das Gericht gab der Klage teilweise statt und bestätigte den Rücktritt vom Kaufvertrag gemäß §§ 437 Nr. 2, 323, 434 BGB, jedoch nur in Höhe von 293,59 € – abzüglich einer Nutzungsentschädigung für gefahrene 26.608 km. Maßgeblich war, dass das Fahrzeug nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufwies.
USB und Bluetooth als vereinbarte Beschaffenheit
Das Gericht wertete die im Inserat genannten Ausstattungsmerkmale als verbindliche Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des § 434 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB. Selbst der Hinweis „Irrtümer vorbehalten“ im Inserat hob diese Erwartungshaltung des Käufers nicht auf. Die fehlenden Funktionen wurden als nicht behebbarer Mangel angesehen – der Rücktritt war somit zulässig.
Verschleiß ist nicht gleich Sachmangel
Die übrigen, vom Kläger monierten Mängel – wie defekte Assistenzsysteme oder Höhenverstellung des Sitzes – wurden vom Sachverständigen als alters- und laufleistungsbedingte Verschleißerscheinungen eingestuft. Diese stellen nach ständiger Rechtsprechung des BGH keinen Sachmangel dar, sofern sie nicht die Verkehrssicherheit beeinträchtigen (BGH, Urt. v. 09.09.2020 – VIII ZR 150/18).
Wirkung eines mündlichen Gewährleistungsausschlusses
Das Gericht ging von einem mündlich vereinbarten Gewährleistungsausschluss aus, erkannte aber an, dass ein solcher nicht für das Fehlen vereinbarter Beschaffenheit gilt (BGH, Urt. v. 10.04.2024 – VIII ZR 161/23). Der Rücktritt war daher trotz Ausschluss wirksam.
Hoher Nutzungsabzug wegen weit fortgeschrittener Laufleistung
Ein wesentlicher Punkt des Urteils war die hohe Nutzungsentschädigung, die vom Rückzahlungsanspruch des Käufers abzuziehen war. Der Abzug in Höhe von 7.696,41 € ergab sich aus der tatsächlichen Nutzung des Fahrzeugs über rund 26.608 Kilometer zwischen Kauf und Rücktritt. Da das Fahrzeug bereits beim Erwerb 372.377 Kilometer auf dem Tacho hatte und das Gericht die zu erwartende Gesamtlaufleistung mit 400.000 Kilometern veranschlagte, verblieb nur ein geringer Anteil an nutzbarer Restlaufzeit. Entsprechend wurde fast der gesamte Kaufpreis als durch Nutzung aufgebraucht gewertet.
Bedeutung für Käufer und Verkäufer von Gebrauchtwagen
Das Urteil verdeutlicht: Angaben im Internetinserat zu Ausstattungsmerkmalen können zur verbindlichen Beschaffenheitsvereinbarung werden. Selbst wenn Gewährleistung ausgeschlossen wird, haftet der Verkäufer für das Fehlen dieser Eigenschaften. Käufer können daher auch ohne schriftlichen Vertragsschutz ihre Rechte geltend machen – vorausgesetzt, die Merkmale wurden klar als vorhanden beschrieben.
Verkäufer sollten Inserate sorgfältig formulieren und klarstellen, wenn bestimmte Angaben nicht verbindlich gemeint sind. Ein schriftlicher Gewährleistungsausschluss bleibt dringend zu empfehlen.
Handlungsempfehlungen für die Praxis
- Für Käufer:
- Prüfen Sie die Angaben im Inserat genau.
- Dokumentieren Sie bei der Übergabe vorhandene und fehlende Merkmale.
- Bei erheblichen Abweichungen: Rücktritt ist auch ohne schriftliche Gewährleistung möglich.
- Für Verkäufer:
- Vermeiden Sie ungenaue oder pauschale Ausstattungsangaben.
- Dokumentieren Sie mündliche Erklärungen.
- Verwenden Sie schriftliche Kaufverträge mit eindeutigem Gewährleistungsausschluss.