Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 20.10.2016 – 2-23 O 149/16.

Einordnung

Nun auch im Gerichtsbezirk Frankfurt/Main:

Der Käufer eines von der manipulierten Abgas-Software betroffenen Audi A3 2.0 TDI kann vom Kaufvertrag zurücktreten. Allerdings hält das Gericht fest, dass eine Nachbesserungsfrist von lediglich 1 Monat in dieser Fallkonstellation zu kurz sein dürfte.

Entscheidung

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.111,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz daraus p.a. seit dem 29.04.2016 zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw Audi A3 2.0 TDI, Fahrgestellnummer AUZZZ8P1CA115544, nebst dazugehöriger Fahrzeugpapiere. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte vertreibt im eigenen Namen Fahrzeuge der Marke Audi. „ Sie schaltete im Internet eine Verkaufsanzeige, in der sie einen gebrauchten Pkw Audi anbot. Auf Nachfrage wurde der Klägerin ein „Fahrzeuginformationsblatt“ übermittelt. Danach belief sich die Laufleistung des auf 21.393 km, er war in die Schadstoffklasse „EU5“ eingeordnet. Wegen der Einzelheiten wird auf das „Fahrzeuginformationsblatt“ verwiesen (Bl. 135 ff. d.A.).
Das Fahrzeug war mit einem EA 189-Dieselmotor mit 2,0 l Hubraum ausgestattet. In ihm war eine Software zur Erkennung von Prüfzyklen zur Messung von Schadstoffen in den Abgasen installiert, die im Fall eines Prüfzyklus die Motorsteuerung umschaltete, so dass die Messung wesentlich geringere Stickoxidemissionen als
im realen Fahrbetrieb ergab. Hierüber wurde die Klägerin nicht informiert.
Die EG-Typgenehmigung des Fahrzeugs für die Emissionsklasse „Euro-5“ ist durch das Kraftfahrt-Bundesamt bislang nicht aufgehoben worden, dies ist auch bis zu einer Überarbeitung des Fahrzeugs nicht zu erwarten.
Die Klägerin erwarb das Fahrzeug von der Beklagten mit Kaufvertrag vom 9./13. April 2015 zum Preis von 21.700 €. Wegen der Einzelheiten wird auf die Vertragsunterlagen verwiesen (Anl. K1 = Bl. 5 ff. d.A.). Das Fahrzeug wurde am 16. April 2015 ausgeliefert.
Die Beklagte zog aus dem Kaufpreis 2 % Zinsen oder hätte diese jedenfalls
Ziehen können.
Die Klägerin beauftragte ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten. Diese forderten die Beklagte mit Schreiben vom 23. Oktober 2015 unter Fristsetzung bis 23. November 2015 zur Mangelbeseitigung auf. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben verwiesen (Anl. K 2 = Bl. 8 f. d.A.). Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 30. Oktober 2015, Audi arbeite der Zeit mit Hochdruck an einer technischen Lösung für Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189. Die Klägerin werde „schnellstmöglich“ über die geplanten Maßnahmen informiert. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben verwiesen (Anl. K9 = Bl. 142 d.A.).
Mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Vertrag und forderte die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs nebst Fahrzeugpapieren auf. Mit im Wesentlichen gleichlautendem Schreiben vom 29. März 2016 erklärte sie nochmals den Rücktritt und forderte die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises auf unter Fristsetzung bis 6. April 2016. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schreiben verwiesen (Anl. K 3 = Bl. 10f. d.A.; Anl. K5 = Bl. 82 f. d.A.).
Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung belief sich der km-Stand des Fahrzeugs auf 46.215.
Die Klägerin meint, die Abschalteinrichtung sei unzulässig und das Fahrzeug deshalb mangelhaft. Sie behauptet, im Falle einer Nachbesserung durch eine Softwarerevision ergäben sich ein höherer Verbrauch, eine geringere Leistung, ein vorzeitiger Verschleiß des Rußpartikelfilters und ein Wertverlust durch einen
merkantilen Minder Wert.
Die Klägerin errechnet die Klageforderung aus 21.700 € zuzüglich 412,32 € Zinsen abzüglich 1.736 € Nutzungsentschädigung, letztere noch auf einer Grundlage von 16.000 gefahrenen km. Die Nutzungsentschädigung errechnet sie auf der Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 200.000 km mit 0,5 % des Kaufpreises pro 1.000 km. Sie verlangt den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten, wegen deren Einzelheiten auf die Berechnung S. 4 der Klageschrift (Bl. 4 d.A.)
verwiesen Wird.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 20.376,32 € nebst 5 % Zinsen
über dem Basiszinssatz seit dem 06.01.2016 zu zahlen Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw – Fahrgestellnummer WAUZZZ8P1CA115544, nebst dazugehöriger Fahrzeugpapiere;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte in AnnahmeverZug befindet,
3. die Beklagte zu verurteilen, ihr außergerichtliche Kosten ihv
1.171,67 E zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, sämtliche Fahrzeuge mit dem Dieselmotor EA 189 würden mit einem Software-Update überarbeitet werden, wofür weniger als eine Stunde Arbeitszeit in einer Vertragswerkstatt anfallen und Kosten von deutlich unter 100 € entstehen würden. Irgendwelche Nachteile für die Klägerin würden sich aus dieser Überarbeitung nichtergeben. Die Überarbeitung könne Voraussichtlich im September 2016 erfolgen.
Die Beklagte macht geltend, die Überarbeitung geschehe aus „unternehmenspolitischer Verantwortung“, die die Volkswagen AG – gemeint wohl – gegenüber ihren Kunden wahrnehmen Wolle. Dazu meint sie, das Fahrzeug sei nicht mangelhaft, da es uneingeschränkt nutzbar sei, es handele sich auch nicht um eine verbotene Abschalteinrichtung. Es gebe keine gesetzliche Vorgabe, die Emissionsgrenzwerte im normalen Straßenverkehr regele. Jedenfalls handele es sich angesichts des geringen Aufwands für die Überarbeitung nicht um einen erheblichen Mangel. Die von der Klägerin gesetzte Frist zur Nacherfüllung sei unangemessen kurz gewesen. Jedenfalls müsse sich die Klägerin die Nutzung des Fahrzeugs anrechnen lassen. Annahmeverzug bestehe schon deshalb nicht, da das Fahrzeug nicht in Annahmeverzug begründender Weise angeboten worden Sei.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist im Wesentlichen begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 19.111.97 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.
Der Anspruch folgt aus § 346 Abs. 1 BGB. Die Klägerin ist jedenfalls mit der
zweiten Rücktrittserklärung im Schreiben vom 29.03.2016 wirksam von dem Kaufvertrag zurückgetreten. Die Voraussetzungen des Rücktritts nach § 437 Nr. 2 BGB liegen vor.
Das Fahrzeug war mangelhaft. Es weist einen Sachmangel im Sinne des § 434
Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf. Insoweit genügt es nicht, dass das Fahrzeug – noch – über die erforderlichen Genehmigungen verfügt. Durch die Installation der Manipulationssoftware, die die korrekte Messung der Stickoxidwerte verhindert und im Prüfbetrieb niedrigere Ausstoßmengen Vorspiegelt, weicht das Fahrzeug vielmehr von der bei vergleichbaren Fahrzeugen üblichen Beschaffenheit ab (vgl. OLG Hamm v. 21.06.2016 – 28 W 14/16, Juris-Rn. 28). Darüber hinaus eignet sich das Fahrzeug in unbearbeiteter Form auch nicht zur dauerhaften Verwendung, da bei Verweigerung der Überarbeitung mit dem Verlust der Betriebserlaubnis zu rechnen ist (vgl. OLG Celle MDR 2016, 1016 unter Bezug auf LG Frankenthal v. 12.05.2016 — 8 O 208/15, Juris-Rn. 21).
Die Pflichtverletzung ist auch nicht unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung, wobei eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls erforderlich ist. Bei behebbaren Mängeln ist dabei grundsätzlich auf die Kosten der Mangelbeseitigung abzustellen (BGHZ 201, 290 Rn. 16 f.).
Zugunsten der Beklagten kann entsprechend deren Behauptung unterstellt Werden, dass eine Mangelbeseitigung hier technisch und auch unter dem Aspekt eines merkantilen Minderwerts folgenlos möglich ist und diese nach Schluss der mündlichen Verhandlung im September 2016 erfolgen könnte. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Rücktrittserklärung im März 2016 konnte die Mangelbeseitigung jedoch zumindest rein tatsächlich noch nicht erfolgen. Zu dieser Zeit war offenbar noch nicht abzusehen, ob überhaupt und wenn ja, wann eine Überarbeitung des Fahrzeugs möglich sein würde. Erstmals in der mündlichen Verhandlung im August 2016 hat die Beklagte mitgeteilt, dass dies im September 2016 der Fall sein werde. Es ist daher von einem im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zumindest nicht sicher behebbaren Mangel auszugehen, so dass es hier nicht auf die Kosten der Mangelbeseitigung ankommt.
Angesichts der Ungewissheit künftiger Mangelbeseitigung und der im Raum stehenden schwerwiegenden Folge des Verlusts der Betriebsgenehmigung für den Fall einer unterbleibenden Mangelbeseitigung kann nicht von einer unerheblichen Pflichtverletzung ausgegangen werden (vgl. auch LG München | DAR 2016, 389, 390 f; LG Oldenburg v. 01.09.2016 – 16 O 790/16, Juris-Rn. 27 ff.; LG Krefeld v. 14.09.2016 – 2 O 72/16, Juris-Rn. 43ff).
Die Klägerin hat auch eine Frist zur Nacherfüllung nach § 323 Abs. 1 BGB gesetzt. Zwar war der Klägerin ein „längeres Zuwarten“ zumutbar (vgl. OLG Celle MDR 2016, 1016), so dass die gesetzte Frist von einem Monat zu kurz war. Dies macht die Fristsetzung jedoch nicht unwirksam, die Folge einer zu kurzen Fristsetzung ist nur, dass eine angemessene Frist in Gang gesetzt wird (BGH NJW 2009, 3153 Rn. 11; BGH MDR 2016, 1075 Rn. 31). Der Zeitraum von fünf Monaten bis zu der neuerlichen Rücktrittserklärung vom 29.03.2016 ist aber jedenfalls als angemessen anzusehen, ein längeres Zuwarten war der Klägerin nicht Zumutbar (Vgl. auch LG Oldenburg v. 01.09.2016 – 16O 790/16, Juris-Rn. 37f.; LG Braunschweig v. 12.10.2016 – 4 O 202/16, Juris-Rn. 20).
Der Betrag von 19.111,97 € errechnet sich aus 21.700 € + 427,74 € – 3.015,77 €.
Die Beklagte hat gemäß § 346 Abs. 1 BGB den Kaufpreis in Höhe von 21.700 € zurückzugewähren. Außerdem hat sie die daraus gezogenen bzw. Ziehbaren (§ 347 Abs. 1 Satz 1 BGB) Nutzungen von 2 % jährlich herauszugeben. Diese belaufen sich für den Zeitraum vom 13.04.2015 bis 06.04.2016 auf 427,74 €. Nach Verzugseintritt am 06.04.2016 kann die Klägerin höhere Zinsen gemäß § 288 Abs. 1 BGB verlangen. Verzug trat gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB ein mit Ablauf der Frist aus dem Rücktrittsschreiben VOm 29.03.2016.
Abzuziehen sind die die von der Klägerin gezogenen Nutzungen durch Benutzung des Fahrzeugs, für die gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB Wertersatz zu leisten ist. Dieser beläuft sich bei einem Kaufpreis von 21.700 € und einer – von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen – Gesamtlaufleistung von 200.000 km abzüglich bereits gefahrener 21.393 km sowie von der Klägerin gefahrener weiterer (46.215 km – 21.393 km =) 24.822 km auf 3.015,77 € (vgl. zur Berechnungsweise BGH NJW 1995, 2159, 2161).
Für die Methode der Berechnung der Klageforderung folgt das Gericht wegen § 308 Abs. 1 ZPO der Vorgehensweise der Klägerin, auch wenn richtigerweise die Entschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs erst nach Aufschlag der Verzugs
Zinsen abzuziehen Wäre.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten, da Verzug erst nach Einschaltung ihrer Anwälte eintrat.
Die Beklagte befindet sich gemäß § 295 Satz 1 BGB im Annahmeverzug. Das Angebot der Klägerin zur Rückgabe des Fahrzeugs wurde im Rücktrittsschreiben unterbreitet. Ein wörtliches Angebot genügt, weil die Beklagte das Fahrzeug bei der Klägerin abzuholen hat. Leistungsort beim Rücktritt ist derjenige Ort, an dem sich die Sache Vertragsgemäß befindet (OLG München v. 09.06.2016 – 23 U 1201/14, Juris-Rm. 54; OLG Düsseldorfv. 18.08.2016 – 3 U20/15, JurisRn. 66), hier also bei der Klägerin.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.