BGH, Urteil vom 16.11.2022 – VIII ZR 383/20

Im Bereich des beidseitigen gewerblichen Fahrzeugkaufs ist immer die unverzügliche Rügeobliegenheit des § 377 HGB zu beachten, was häufig aus dem Blickfeld gerät. Danach ist ein gewerblicher Käufer dem gewerblichen Verkäufer gegenüber verpflichtet, ein etwaigen Mangel unverzüglich (dies bedeutet meist binnen weniger Tage) anzuzeigen. Denn wenn die Pflicht zur unverzüglichen Rüge verletzt wird, gilt die Ware als genehmigt und der Käufer kann sich auf einen etwaigen Mangel nicht mehr berufen. Dies nennt man den »Einwand der verspäteten Mängelrüge«.

Im vorliegenden vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Verkäufer auf den Einwand der verspäteten Mängelrüge stillschweigend verzichten kann.

Streitgegenständlicher Mangel war die unzulässige Abschaltvorrichtung in einem Pkw des Fabrikats Volkswagen. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2016 hatte der Hersteller Volkswagen dem Käufer schriftlich mitgeteilt, dass ein Software Update zur Verfügung stehe und dieses bei einem Servicepartner nach Terminvereinbarung installiert werden könne. Mit Schreiben vom 15. November 2016 hat der Käufer dem Verkäufer gegenüber die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung sowie den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und den Kaufpreis zurückverlangen.

Mit anwaltlichen Schreiben vom 10. August 2017 hat die Verkäuferin den Käufer darüber unterrichtet, dass das Software-Updates zur Verfügung stehe und nunmehr aufgespielt werden könne. Hierzu sei eine Terminvereinbarung erforderlich.

Das Landgericht hat die Klage unter Verweis auf die Verspätung der Mängelrüge abgelehnt. Das Berufungsgericht hingegen hat die Verkäuferin zur Rücknahme des Fahrzeugs verurteilt.

Der Bundesgerichtshof hat nunmehr entschieden, dass in dem Anwaltsschreiben vom 10. August 2017 kein stillschweigender Verzicht auf die Verspätung der Mängelrüge zu erblicken sei, denn nach einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls sei das Schreiben nicht als Eingeständnis einer eigenen Einstandspflicht oder Mangelanerkenntnis zu werden. Vielmehr Weise der Verkäufer lediglich auf seine Einbindung in die Update-Maßnahmen des Herstellers hin. Mit anderen Worten müssen für die Annahme eines Verzichts auf die Mängelrüge eindeutige Anhaltspunkte vorliegen, die als endgültige Aufgabe des Verspätung Einwands interpretiert werden können. Ein bloßes Informationsschreiben über die Möglichkeit eines Software-Updates erfüllt diese Voraussetzungen jedenfalls nicht.

Praxishinweise für Käufer und Verkäufer

Aufgrund unserer Praxiserfahrung können wir zunächst darauf hinweisen, dass Käufer und Verkäufer im gewerblichen Bereich die unverzügliche Rügeobliegenheit in vielen Fällen nicht im Blick haben. Es ist daher zunächst geboten, bei Auftreten eines jeglichen mangels diesen sofort schriftlich mit Zugangsnachweis dem Verkäufer anzuzeigen, da ansonsten ein vollständiger Rechtsverlust droht.

Auf Verkäuferseite sollte bei jeglichen Nachbesserungsmaßnahmen sehr genau auf die verwendeten Formulierungen geachtet werden, sodass ein Mangelanerkenntnis oder eine eigene Einstandspflicht schon sprachlich vermieden wird.

Im Hinblick auf die Frist zur Mängelanzeige sollte einem gewerblichen Käuferbewusstsein, dass diese unverzüglich, d. h. in jedem Falle binnen weniger Tage erfolgen muss. Auf Verkäuferseite sollte daher bei einer Mängelanzeige stets die Unverzüglichkeit geprüft werden, um so etwaige Haftungsansprüche vermeiden zu können.

Leitsätze des BGH

1. Der Verkäufer kann jederzeit und auch stillschweigend auf die Rechtsfolgen aus § 377 Abs. 2, 3 HGB – beziehungsweise auf den Einwand der Verspätung einer Mängelrüge – verzichten. Hierfür müssen jedoch eindeutige Anhaltspunkte vorliegen, die der Käufer als (endgültige) Aufgabe des Rechts – hier: des Verspätungseinwands – durch den Verkäufer verstehen darf (im Anschluss an Senatsurteile vom 19. Juni 1991 – VIII ZR 149/90, NJW 1991, 2633 unter II 1 c aa und bb; vom 25. November 1998 – VIII ZR 259/97, NJW 1999, 1259 unter III 2 a; vom 9. November 2022 – VIII ZR 272/20, zur Veröffentlichung vorgesehen, unter II 2 b dd (5) (a) und (b)).

2. Solche eindeutigen Anhaltspunkte lassen sich grundsätzlich noch nicht ohne Weiteres einem Schreiben des Fahrzeugverkäufers entnehmen, mit dem der Fahrzeugkäufer über die Bereitstellung eines Software-Updates durch den Fahrzeughersteller unterrichtet, um die Vereinbarung eines Termins zum Aufspielen des Updates in der Werkstatt des Fahrzeugverkäufers gebeten und auf die Übernahme der Kosten der Maßnahme durch den Hersteller sowie die Möglichkeit einer für den Fahrzeugkäufer kostenlosen Überlassung eines Ersatzfahrzeugs für die Dauer der Maßnahme hingewiesen wird.


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